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Abenteurer oder Imperialist?

Leben und Wirken Max Freiherr von Oppenheim

 

Baron Max Freiherr von Oppenheim wurde am 15. Juli 1860 als Sohn einer einflussreichen Privatbankiersfamilie geboren, die seit 1798 in Köln ansässig war. Die Lektüre von 1001 Nacht, die er während seines Besuchs des Apostelgymnasiums in Köln in der Secunda geschenkt bekommen hatte, weckte in ihm den Wunsch, Forschungsreisender im sogenannten Orient zu werden. Dennoch bemühte sich sein Vater, ihm seinen Wunsch auszutreiben und ihn für die vorgesehene Nachfolge im Bankhaus zu gewinnen. Als Kompromiss einigte man sich zunächst auf ein Jura-Studium, das Max von Oppenheim 1879 in Straßburg antrat und in Berlin fortführte.1883 legte er das Referendarexamen in Köln ab. Kurze Zeit danach promovierte er in Göttingen.

Während seiner Referendarzeit und seiner Vorbereitung zum Regierungsassessor-Examen, einem erneuten Kompromiss mit seinem Vater, machte Max von Oppenheim erste Bekanntschaft mit dem sogenannten Orient. Im Winter 1883/1884 begleitete er einen Onkel auf einer Reise nach Athen, Izmir (Smyrna) und Konstantinopel. 1886 unternahm er seine erste Studienreise nach Tunis, Algerien und Marokko, die mehr als sechs Monate dauerte. Diese Reise bestärkte ihn, Forschungsreisender werden zu wollen. Nach Ablegen des Assessorexamens in Berlin und nach einjähriger Dienstzeit in Köln erhielt er 1888 endlich vom Vater die Einwilligung und die Mittel, um weitere Forschungsreisen zu unternehmen. Sein erstes großes Projekt, auf den Spuren des Afrika-Forschers Gerhard Rolfs von Tripolis durch die Sahara nach Kamerun vorzudringen, scheiterte nach mehreren Anläufen trotz größter Bemühungen und Anstrengungen. Seine Studien, die er zum Zweck dieses Projekts angestellt hatte, veröffentlichte er in dem Buch Rabeh und das Tschadseegebiet (siehe Bibliographie).

In der Zwischenzeit beschloss er als Vorbereitung auf sein Projekt, erst einmal selbst zum Orientalen zu werden, was immer das damals auch heißen solte. Nachdem ihn Anfang August 1892 eine Reise zusammen mit Wilhelm Joest, einem Ethnographen und Mitbegründer des Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln, erneut nach Nordafrika führte, machte er sich Anfang September desselben Jahres alleine auf den Weg nach Alexandria und schließlich nach Kairo, wo er sieben Monate lang ein Haus in einem arabischen Viertel bewohnte. Während dieser Zeit setzte er sein Studium der arabischen Sprache fort, das er bereits in Berlin vor dem Assessorexamen begonnen hatte. "Sein Sprachlehrer besorgte ihm, was er brauchte: eine schwarze Köchin, die allerdings nur die arabische Küche beherrschte, einen arabischen Diener und eine Zeitfrau», die Oppenheim als eine 15 Jahre alte «Araberin mit abessinischem Einschlag» beschrieb, und deren Schönheit er noch, als er 85jährig seine Erinnerungen verfasste, mit feurigen Worten beschrieb" (Michael Stürmer, Gabriele Teichmann & Wilhelm Treue, Wägen und Wagen. Sal. Oppenheim jr. & Cie. Geschichte einer Bank und einer Familie. München, Zürich 1989, S. 265). Er genoss das Leben im arabischen Milieu derart, dass er während dieser Zeit kaum das europäische Viertel in Kairo aufsuchte. 1893 trat er eine weitere große Orientreise an. Er zog über Beirut, Damaskus, Palmyra, Dayr al-Zor, Nissibin nach Mosul und schließlich weiter nach Bagdad, Maskat, Aden, Sansibar und Usambara (Landstrich im damaligen Deutsch-Ostafrika). Über diese Reise berichtet er in seinem zweibändigen Werk Vom Mittelmeer zum Persischen Golf.

1896 trat er in den Dienst des Auswärtigen Amtes ein und wurde dem Generalkonsulat in Kairo als Attaché, später als Legationsrat mit dem Titel eines Ministerpräsidenten zugeteilt. Dieses Amt - vielleicht das erste offizielle zur "Beobachtung des Islams" - bekleidete er bis 1909. Von nun an konnte Max von Oppenheim seine Liebhaberei mit dem Beruf vereinbaren. In dieser Zeit führte er, wie er selbst sagt, ein "Doppelleben" in der europäischen und der arabischen Welt. 1899 brach Oppenheim im Rahmen der Streckenplanung der Bagdad-Bahn zu einer siebenmonatigen Orientreise von Kairo auf, die ihn von Damaskus über Homs, Aleppo und Urfa zum Khabur brachte. Die Reise wurde zum Höhepunkt seines Lebens als Forschungsreisender, denn auf dieser Reise entdeckte er die aramäisch-assyrische Residenz Tell Halaf, was ihm Berühmtheit unter den europäischen Amateurarchäologen einbrachte. Als Folge dieser Entdeckung verschrieb sich Oppenheim nun ganz der Archäologie und quittierte 1910 seinen Dienst im Auswärtigen Amt. Von 1910 bis 1913 leitete er die Ausgrabungen am Tell Halaf, die er mit seinen eigenen Mitteln sowie Zuschüssen seiner Familie bestritt. Der erste Weltkrieg setzte den Ausgrabungen zunächst ein Ende.

Der Kriegsausbruch sorgte dafür, dass Max Freiherr von Oppenheim seine Karriere als Diplomat wieder aufnahm. So leitete er während des Ersten Weltkriegs die „Nachrichtenstelle für den Orient“, die die deutschen politischen und geheimdienstlichen Aktivitäten lenkte. In seiner an den deutschen Kaiser gerichteten Denkschrift „Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“ von 1914 legte er in seiner Funktion als „Kaiserlicher Minister-Resident“ nicht nur eine Einschätzung der politischen, sozialen und kulturellen Situation im Nahen Osten und deren Bedeutung für das Deutsche Reich vor, sondern auch ein praktisches Handlungskonzept, wie ein von und für die Interessen Deutschlands initiierter Dschihad gegen die Kolonialmächte England, Russland und Frankreich die Chancen erhöhen würde, den Krieg zu gewinnen. So endet der letzte Abschnitt „Folgen eines glücklichen Krieges für den Orient“ mit den Worten: Das Eingreifen des Islams in den gegenwärtigen Krieg ist besonders für England ein furchtbarer Schlag. Tun wir alles, arbeiten wir vereint mit allen Mitteln, dass dieser ein tödlicher werde.“ (136) Oppenheim beteiligte sich in diesen Jahren wie einige andere deutsche Orientalisten im Umkreis der NfO an dem Versuch, den Islam für deutsche Interessen zu 'dschihadifizieren'. Der Einfluss dieses manipulativen Versuchs - den andere imperiale Staaten wie England, Frankreich oder die Niederlande in anderer Weise viel umfassender in ihren Kolonialgebieten bereits praktiziert hatten - auf alsbald entstehende islamistische Bewegungen ist in der Forschung noch nicht ausreichend geklärt. (So hieß beispielsweise die erste in Deutschland auf Arabisch und anderen "orientalischen" Sprachen erscheinende Zeitschrift nicht grundlos "Al-Dschihad".) 

Aus diesem Grund wurde er bisweilen als der „deutsche Lawrence von Arabien“ oder „Abu Dschihad“ bezeichnet, des Weiteren Ausdruck der kolonialistischen Sprache jener Zeit. Dennoch bestimmte die Wissenschaft über den alten Orient und den Nahen Osten seiner Zeit einen großen Teil seines Lebens. Wie die Rolle des Barons innerhalb der Politik und der Kriegsführung Deutschlands zu bewerten ist, diskutieren einige jüngere Forschungsarbeiten (Hanisch in Loth 2014, Kreutzer 2012, Oberhaus 2006, Schwanitz 2004). Unbestritten bleibt aber die Tatsache, dass Oppenheim aufgrund seiner hervorragenden Kenntnis des Arabischen, seiner engen Kontakte zur einheimischen Bevölkerung, auch zu hochgestellten Persönlichkeiten, und seiner Reisen über genaue Kenntnisse der geographischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Nahen Ostens verfügte, wie sie wohl sehr wenige Europäer im Diplomatendienst besaßen. Gerade dies machte diese Kenntnisse besonders anfällig für politischen und ideolgischen Missbrauch, wie die Geschichte der detschen Orientpolitik im Ersten und auch im Zweiten Weltkrieg deutlich zeigt.

Nach dem Ersten Weltkrieg galt sein Augenmerk wieder vermehrt den sozialen und genealogischen Strukturen der Beduinenstämme, zu deren lokalen Stammesführern er auf seinen Reisen und in Kairo Kontakt suchte. Sein breit angelegtes Werk darüber, unter dem Titel Beduinen- und andere Stämme in Syrien, Mesopotamien, Nord- und Mittelarabien, erschien seit 1919 und wurde nach seinem Tod von dem Mitarbeiter seiner Stiftung und späteren Professor für Orientalische Philologie an der Universität zu Köln, Prof.Dr. Werner Caskel (1896-1970), bearbeitet und herausgegeben.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, der für ihn finanzielle Einbußen und die Enttäuschung seiner deutsch-nationalen Ambitionen mit sich brachte, setzte er 1927 und 1929 die Grabungskampagne am Tell Halaf fort... Über sein Wirken im Zweiten Weltkrieg und sein Verhältnis zur Armenierfrage bedarf es noch weiterer Forschung, die sich unvoreingenommen und kritisch mit ihm und anderen deutschen Akteuren, aber auch Strukturen damaliger kolonialer und imperialer Politiken auseinandersetzt.